Wie aktuell zu erfahren, hat das LSG Darmstadt kürzlich Anfang September 2014 ein neues Urteil (Aktenzeichen: L 8 KR 352/11) gefällt, nachdem die Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenkassen für Hörgeräte nicht auf den Festbetrag begrenzt sind, wenn nur ein höherwertiges, teures Hörgerät eine Schwerhörigkeit weitgehend bzw. bestmöglich ausgleichen kann. Ähnlich urteilte schon das LSG Stuttgart.
Sehr interessant ist hier vor allem, dass die Krankenkasse nun nicht mehr auf andere (bzw. günstigere) Hörgeräte verweisen darf, falls sie nicht nachweisen kann, dass diese dieselbe Leistung hinsichtlich des Sprachverständnisses erzielen. - Aber lest selbst! ;) Eine solche Klarstellung hätte ich schon zu meinen Hörgeräte-Zeiten brauchen können...
Die vorzeitige Bezahlung der Hörgeräte beim Akustiker hob hier nicht den Anspruch auf gegenüber der Krankenkasse auf Kostenerstattung! (Ich persönlich wäre hier vorsichtig und würde mit der Bezahlung - mit schriftlicher Ankündigung gegenüber der Krankenkasse - warten bis der 1. Widerspruch abgelehnt wurde. Danach kann auch Klage beim Sozialgericht erhoben werden. - Andere Gerichte haben noch nicht so in dieser Form entschieden!)
Zitate aus der Presseerklärung des Gerichts:
"Die Versorgung mit Hörgeräten dient dem unmittelbaren Behinderungsausgleich. Insoweit gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits. Die gesetzliche Krankenkasse kann sich nur dann auf eine Festbetragsregelung berufen, wenn diese eine sachgerechte Versorgung des Versicherten ermöglicht. Andernfalls muss sie die kompletten Kosten für das erforderliche Hörgerät tragen. Dies entschied in einem heute veröffentlichten Urteil der 8. Senat des Hessischen Landessozialgerichts.
Schwerhöriger Mann klagt auf Erstattung der Kosten über dem Festbetrag Ein Verwaltungsfachangestellter aus Nordhessen leidet an einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit. Nach einer entsprechenden Testphase empfahl ihm der Hörgeräteakustiker ein Hörgerät für rund 4.900 €, mit welchem er sogar Telefongespräche führen kann, und zeigte dies der Krankenkasse an. Diese teilte dem 51-jährigen Mann mit, dass sie den Festbetrag von rund 1.200 € übernehme. Der Hörgeschädigte erwarb das teure Hörgerät. Seinen Antrag auf Erstattung des Differenzbetrages von ca. 3.700 € lehnte die Krankenkasse ab. Das Sozialgericht wies die Klage des Mannes mit der Begründung ab, dass dieser bereits vor der ablehnenden Entscheidung der Krankenkasse das Hörgerät erworben und damit den vorgeschriebenen Beschaffungsweg nicht eingehalten habe.
Versorgungsanzeige beinhaltet umfassenden Leistungsantrag Das Landessozialgericht verurteilte hingegen die Krankenkasse zur Erstattung der rund 3.700 €. Zunächst stellten die Richter fest, dass die Versorgungsanzeige des Hörgeräteakustikers einen Leistungsantrag auf bestmögliche Versorgung mit einem Hörgerät beinhalte. Gewähre die Krankenkasse hierauf den Festbetrag, so lehne sie damit inzident die Kostenübernahme für eine höherwertige Hörgeräteversorgung ab. Da die Krankenkasse den Antrag habe prüfen können, sei auch der Beschaffungsweg eingehalten, wenn der Versicherte das Hörgerät kaufe, bevor die Krankenkasse die Kostenübernahme des Differenzbetrages ausdrücklich abgelehnt habe.
Fehlender Nachweis einer günstigeren Versorgungsmöglichkeit geht zu Lasten der Krankenkasse Zudem wiesen die Richter darauf hin, dass die Krankenkassen - wie auch die Rentenversicherungsträger - den hörgeschädigten Versicherten keinen Zugang zu unabhängigen Beratungs- und Begutachtungsstellen böten. Damit erhielten die Versicherten keine von Gewinnerwartungen unabhängige Untersuchung und Anpassung der in Betracht kommenden Hörgeräte. Diese Aufgabe würden sie vielmehr an die Hörgeräteakustiker „outsourcen“. Daher gehe es zu Lasten der Krankenkasse, wenn sich im Gerichtsverfahren nicht mehr klären lasse, ob auch ein günstigeres Hörgerät einen möglichst weitgehenden Ausgleich der Funktionsdefizite erzielt hätte. Die Krankenkasse könne sich ferner nicht darauf berufen, dass der Hörgeräteakustiker zu einer eigenanteilsfreien Versorgung verpflichtet sei. Diese vertragliche Verpflichtung betreffe nur das Vertragsverhältnis zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer und habe keine Auswirkungen auf den Hilfsmittelanspruch des Versicherten. (AZ L 8 KR 352/11 – Die Revision wurde nicht zugelassen. Das Urteil wird unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de ins Internet eingestellt.)
Hinweise zur Rechtslage
§ 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)(2) Die Versicherte erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen (…)
§ 13 SGB V(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. (…)
§ 27 SGB V(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt (…) Versorgung mit (…) Hilfsmitteln, (…).
§ 33 SGB V(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen (…), die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, (…)
§ 12 SGB V(1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.(2) Ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag.
§ 36 SGB V(1) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen bestimmt Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt werden. (…)"
Pressemeldung des www.heilpraxisnet.de:
"Wenn jemand nur mit einem teuren Hörgerät seine Hörschwäche
ausgleichen kann, muss die Krankenkasse diese Kosten trotz
Festbetragsregelung übernehmen, so ein Urteil des Landessozialgericht
Darmstadt (LSG). Laut Pressemitteilung des LSG Darmstadt hatte ein
nahezu tauber Verwaltungsfachangestellter im konkreten Fall nach der
Beratung durch einen Hörgeräteakustiker ein Hörgerät für 4900 €
erworben, da dieses seine Schwerhörigkeit fast vollständig beseitigte
und ihn sogar wieder in die Lage versetzte zu telefonieren. Seine
Krankenkasse wollte dem Antrag auf Erstattung der Differenz aber nicht
bewilligen und war nur bereit den Festbetrag in Höhe von 1200 € zu
übernehmen."
Somit gilt weiterhin die hier oder hier beim DSB schon beschriebene Vorgehensweise zur Auswahl von Hörgeräten und Antragsstellung zur Kostenerstattung. Geändert haben sich nur die Festbeträge, die sind nun etwas höher (ca. 785 € und für WHO4 bis zu ca. 1000 €).
Quellen:
- http://www.heilpraxisnet.de/
- http://www.vdk.de/
- Urteil vom LSG Darmstadt (Aktenzeichen: L 8 KR 352/11): http://www.lsg-darmstadt.justiz.hessen.de/
- Urteil vom LSG Stuttgart (Aktenzeichen: L 13 R 2607/10): http://www.vdk.de/